Dienstag, Mai 16, 2006

Die erste Woche in der neuen Wohnung

Ich mag es früh in der Metro zu fahren. Auch wenn ich mir meist wie eine Sardine in der Dose vorkomme... Jeden Morgen bin ich von frisch geduschten erwartungsfrohen Menschen jeden Alters und jeder Nationalität umgeben, es riecht nach einem neuen Tag, nach Hoffnung. Nachmittags ist die Metro unerträglich. Arbeit, Sorgen und Termindruck haben die frohen Gesichter zu starren Masken verzerrt, Schweißgeruch dringt aufdringlich in meine Nase und niemand bietet mir einen Sitzplatz an, sondern setzt sich lieber selbst.

Jeden Morgen elf Stationen Metro, eine halbe Stunde Bus. Jeden Nachmittag 20 Stationen Bus, 20 Minuten Metro. Das ist der einzige Nachteil der neuen Wohnung. Dass ich für meinen Weg zur Arbeit etwas mehr als eine Stunde benötige. Alle wollen wissen, wie die neue Wohnung aussieht... Fotos folgen, wenn Bilder an der Wand hängen. Im Moment ist alles noch sehr kahl. Seit einer Woche schlafen wir nun schon in unserem neuen Domizil. Der Umzug war recht anstrengend. Wir sind mit der Metro umgezogen. Acht Fahrten verteilt auf zwei Tage. Sidis 700 Bücher und mehr sind alle heil angekommen. Ich hatte ja nur zwei Reisetaschen... Wie ein Kind beim Geschenkeauspacken an Weihnachten hat Sidi dann mit leuchtenden Augen alle seine Bücher abgestaubt und fein säuberlich in die Gott sei Dank vorhandenen Regale einsortiert. Im Nachhinein betrachtet ging das alles schon wieder rasend schnell. Kaum ist die Schnegge eine Woche in Barcelona, da zieht sie auch schon in eine neue Wohnung um und noch eine Woche später ist alles wohnklar.

Am Freitag haben wir ein wenig in IKEA investiert, am Samstag habe ich dann unsere neuen Mitbewohner "FLÄRKE" und "PERSBO" montiert. Jetzt kann sich das Arbeitszimmer auch Arbeitszimmer nennen. Sonntag haben wir zu Fuß unser "barrio" erkundet. Wo ist die nächste "frutería", wo der nächste "chino", wie läuft man am schnellsten zur Metro? Wie lange braucht man zu Fuß zur "Sagrada Familia" - 15 min. Das allerbeste aber: gleich um die Ecke ist ein Lidl! Mein geliebtes Schwarzbrot zum Greifen nah, Sidi hat auch schon Geschmack an Semmelknödeln gefunden, nur Matjesfilets konnte ich bis jetzt noch nicht finden :-)

Na gut, ich gebe es zu. Den Montjuic vermisse ich schon. Das ist ein kleiner Berg oder großer Hügel mitten in der Stadt mit zahlreichen Museen, weitläufigen grünen Parkanlagen, Springbrunnen, Olympiaanlagen, Bänken, ohne Autos! Und der war bei Sidis alter Wohnung gleich um die Ecke. Da haben wir oft gesessen und gelesen oder wir waren spazieren. Man hat einen fantastischen Blick über die Stadt. Wenn nicht gerade ein kräftiger Wind den Duft von Holunder und Oleander mit Autoabgasen, Staub und feinem Sand vermischt und eine undurchdringbare Decke über der Stadt ausbreitet - die klassische Großstadt-Dunstglocke.

Blick auf den Palau Nacional am Montjuic

Am 28. April war ich mit Sidi in Martorell - einem Vorort von Barcelona. Man fährt mit der Renfe ca. 30 min. Sidi hatte Einladungen für die Preisverleihung des Literaturpreises "Premi Poesia Vila de Martorell" bekommen, den er selber im Jahr 2000 gewonnen hat. Es ist ein in Spanien angesehener Literaturpreis und war unter anderem der Grund dafür, dass sich Sidi damals in Barcelona niedergelassen hat. Wer schon einmal in Martorell war, der weiß, dass dort die große SEAT-Fabrik steht und dass Martorell, ein eher verschlafenes Städtchen, ein typischer Immigrantenort ist. Der Großteil der Bevölkerung besteht aus Latinos. Wie in so vielen Randgebieten Barcelonas.