Donnerstag, Januar 13, 2011

Tuff tuff tuff, die Eisenbahn

zitiert von www.tagesschau.de

Mag sein, dass die Schnellzüge besser sind als in Deutschland, im Nahverkehr gibt es allerdings noch erheblichen Nachholebedarf. Und hier kann man auch nicht aufs Flugzeug ausweichen.

"391 Kilometer in 95 Minuten: In Rekordzeit kann man ab dem Wochenende von Madrid ans Mittelmeer reisen. Das Schnellbahnnetz in Spanien wächst um eine weitere Strecke - und es kennt praktisch keine Verspätungen. Ist es also besser als das ICE-Netz der Deutschen Bahn? tagesschau.de hat nachgefragt.

Pünktlich, sicher und zuverlässig: Für Spaniens Hochgeschwindigkeitszüge trifft das allesamt zu. Auf der Strecke Madrid - Barcelona erhalten Fahrgäste ab einer Verspätung von 15 Minuten sogar den vollen Fahrpreis zurück. Für Kunden der Deutschen Bahn (DB) eine unvorstellbare Regelung. Ist das spanische Bahnsystem dem verspätungsanfälligen deutschen also überlegen? Nein, meint Pau Noy vom spanischen Fahrgastverband Promoció del Transport Públic. "Ich hätte lieber das vernetzte deutsche System - mit all seinen Schwächen", sagt er im Gespräch mit tagesschau.de. Denn auch das vielgelobte Schnellbahnnetz Spaniens hat seine Mängel; das macht ein Vergleich mit dem System der Deutschen Bahn deutlich.

Spaniens Hochgeschwindigkeitsnetz wurde seit der Eröffnung der Trasse Madrid - Sevilla anlässlich der Weltausstellung 1992 sukzessive erweitert. Unter anderem mit französischen TGVs, deutschen ICE-3 und spanisch-kanadischen Talgo-Zügen fährt die Bahngesellschaft RENFE heute die großen Städte Barcelona, Sevilla und Valladolid an. Künftig sind nun auch die Küstenstadt Valencia und die Provinzhauptstadt Albacete per Schnellzug erreichbar. Sternförmig treffen sich die Trassen in der Hauptstadt Madrid.

Die Zahlen der spanischen Bahn können sich sehen lassen: Von Januar bis November reisten 9,9 Millionen Passagiere in Spaniens schnellen Zügen - mit einer Pünktlichkeit von mehr als 99 Prozent. Die Zugauslastung liegt laut der Betreibergesellschaft RENFE bei 75 Prozent. Ein Ergebnis von dem die Deutsche Bahn nur träumen kann. Im Schnitt bleibt hierzulande im Fernverkehr - ICE- und IC/EC-Verbindungen zusammengerechnet - etwa jeder zweite Platz leer. 2009 lag die durchschnittliche Zugauslastung laut Deutscher Bahn im Fernverkehr bei 45,1 Prozent.

Sowohl von der Philosophie als auch der technischen Umsetzung trennen die Hochgeschwindigkeitsnetze Spaniens und Deutschlands Welten: Die Deutsche Bahn setzt auf eine "engmaschige Verknüpfung und viele umstiegsfreie Verbindungen", wie ein Bahnsprecher gegenüber tagesschau.de betont. Möglichst vielen Menschen solle eine angenehme Fahrt mit der Bahn - aber auch zur Bahn - ermöglicht werden. Mit Leihfahrrädern, Leihautos und Busverbindungen will die Bahn die "Mobilitätskette" schließen und die Anschlüsse an schnelle Verbindungen mit dem Zug sicherstellen.

Spaniens Fernverkehr ist dagegen ein zentral ausgerichteter "Inselbetrieb": Auf Hochgeschwindigkeitsstrecken fahren nur Hochgeschwindigkeitszüge - im Regelverkehr mit Geschwindigkeiten bis 300 km/h. 1988 war beschlossen worden, die Spurbreite der neuen Hochgeschwindigkeitsstrecken der europäischen Normalspur von 1435 Millimetern anzugleichen. Der spanische Regionalverkehr verkehrt bis heute auf der Breitspur von 1668 Millimetern und damit auf einem komplett anderen Schienensystem als die Hochgeschwindigkeitszüge.

Zwischen den spanischen Großstädten können die Züge in Rekordzeiten fahren - was mehrere Gründe hat: Zum einen sind weite Teile Spaniens eher dünn besiedelt und können schnell durchfahren werden. Zum anderen verfolgt die spanische Bahn laut Experte Noy vorrangig das Ziel, "die Provinzhauptstädte mit Madrid zu verbinden". Auf weitere Zwischenhalte werde weitestgehend verzichtet. Die Strecke Madrid - Barcelona beispielsweise bewältigt ein ICE-3 in zwei Stunden und 38 Minuten - immerhin eine Distanz von etwa 630 Kilometern. Doch bei dieser schnellsten Verbindung hält der Zug unterwegs kein einziges Mal.

In Deutschland dagegen braucht man für die vergleichbare Distanz zwischen Berlin und München (etwa 600 Kilometern) derzeit etwa sechs Stunden. Bislang ist nur ein Teil der Strecke für hohe Geschwindigkeiten ausgebaut, hinzu kommt aber auch, dass die ICE-Züge unterwegs an acht Bahnhöfen halten. Daran wird sich auch nichts ändern, wenn - voraussichtlich 2017 - die Neubaustrecke zwischen Nürnberg und Leipzig in Betrieb geht. Die Fahrzeit wird sich dann von sechs auf etwa vier Stunden reduzieren - was immer noch deutlich mehr ist, als auf der ähnlich langen Strecke in Spanien.

Die vergleichsweise hohe Zahl der Zwischenhalte ist zum einen der dichteren Besiedelung in Deutschland geschuldet. Aber auch die föderale Struktur bremst den ICE mitunter. Beispielhaft ist dafür der Neubau der Strecke Köln - Frankfurt. Um langwierige Auseinandersetzungen mit den Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz und Hessen zu vermeiden, erhielten kurzerhand beide Länder einen Bahnhof an der Strecke. Der eine steht in Limburg (Hessen), der andere 20 Kilometer weiter in Montabaur (Rheinland-Pfalz). Experten halten alle beide für überflüssig

Komplett neu gebaut wurden in Deutschland ohnehin nur vergleichsweise wenige Strecken. Im Gegensatz zur RENFE hat die Deutsche Bahn ihre Hochgeschwindigkeitszüge weitgehend in das bestehende Verbindungsnetz integriert, die schnellen Züge fahren hierzulande also meist auf denselben Strecken wie der Regional- und Güterverkehr. Das ist ungleich schwerer zu koordinieren und eine der Ursachen für Verspätungen.

Trotz aller Vernetzung hat auch die Deutsche Bahn die Attraktivität schneller Verbindungen erkannt. Durch den Neubau der Strecke Köln - Frankfurt sank die Fahrzeit 2002 um 50 Prozent auf etwa eine Stunde. In der Folge stieg die Fahrgastzahl auf das Vierfache. Der Neubau der Strecke Hannover - Berlin (bis 1998) sorgte laut Deutscher Bahn für eine fünffach höhere Zahl an Fahrgästen.

Unterstützung für schnelle Verbindungen erhält die DB von der Bundesregierung. Das machte diese zuletzt mit ihrer Unterstützung für das umstrittene Bahnprojekt "Stuttgart 21" deutlich. "Ich glaube, die Bahn muss in neue, moderne Infrastruktur investieren", sagte Kanzlerin Angela Merkel anlässlich des 175-jährigen Bestehens der Deutschen Bahn. In den Haushalten 2011 bis 2014 hat der Bund für den Ausbau und Erhalt des Schienensystems 3,7 bis 3,8 Milliarden Euro vorgesehen, wie ein Sprecher des Verkehrsministeriums gegenüber tagesschau.de erklärte. Aus Sicht der Bahn zu wenig: Mit den zur Verfügung stehenden Mitteln "sind leider nur wenige der dringend notwendigen Ausbauprojekte realisierbar", sagte ein Sprecher.

Dabei fehlt in Deutschland aber vor allem ein "Masterplan" für die Entwicklung der Verkehrswege, kritisiert Wolfgang Fengler, Professor für die Gestaltung von Bahnanlagen an der TU Dresden: Wenn neben einer neuen Bahnstrecke eine neue Autobahn gebaut werde, "dann ist das nicht schlau", sagte er tagesschau.de. Der Bund und die Deutsche Bahn müssten endlich langfristig die gewünschten Rollen für die Verkehrsträger festlegen. Die derzeitige Systematik in der Bundesverkehrswegeplanung "führt nicht zu einem sinnvollen Gesamtsystem".

Wer hat also nun das bessere System? Spanien oder Deutschland? "Wir haben die schnellsten Züge Europas, aber keinen Service", meint Pau Noy vom spanischen Fahrgastverband. Junge Leute würden schon jetzt auf das Flugzeug ausweichen. Grund dafür seien hohe Preise für Fahrkarten und die fehlende Anbindung an das Nahverkehrsnetz. "Während in Deutschland fast alle Ziele mit der Bahn erreicht werden können, ist das in Spanien nicht möglich", so Noy.

Er kritisiert auch die neue Schnellbahntrasse nach Valencia. Während bislang die Züge von Valencia nach Madrid stets durch Albacete fuhren, sei dies künftig nicht mehr der Fall, so Noy: "Bislang gibt es mehr als 20 Verbindungen täglich zwischen Albacete und Valencia, künftig sind es nur noch drei. Ein typischer Widerspruch des spanischen Bahnsystems." Und er hat noch einen weiteren Wunsch: "Die Verantwortlichen in der Regierung sollten endlich aufhören, Bahnhöfe vor die Tore der Städte zu bauen." Gemeint sind damit Städte wie Burgos, Cuenca oder Tarragona. Der neue Bahnhof Camp de Tarragona liegt etwa 15 Kilometer außerhalb. Die Innenstadt ist damit fast so weit entfernt wie der deutsche ICE-Bahnhof Limburg vom ICE-Bahnhof Montabaur."